Individualisierte Lebensstilmedizin: Mit N-of-1 Gesundheitsempfehlungen Probe fahren

Written by Lutz Kraushaar

19.04.2023

Individualisierte Lebensstilmedizin: laientauglich operationalisierte N-of-1 Methode, self-tracking

Die Erkenntnis:

Die als allgemeingültig propagierten Gesundheitsempfehlungen helfen einigen viel, vielen wenig, und schaden sogar manchen.

Warum ist das wichtig?

Weil ein Gesundheitssystem, das diesen Namen verdient, die individualisierte Lebensstilmedizin jedem zugänglich machen sollte.

Die Lösung

Laientauglich operationalisierte Lebensstilmedizin, mit real-time Feedback.

One-size-fits-all geht gar nicht!

Während bei manchen Menschen Kekse den Blutzuckerspiegel in die Höhe treiben und Bananen nicht, ist es bei anderen genau umgekehrt [1].

Zwei Menschen essen das gleiche Brot, haben aber eine Blutzuckerantwort, die um das 8-fache auseinanderliegt [1].

Weniger Salz im Essen reduziert den Blutdruck bei manchen, lässt ihn unverändert bei vielen und treibt ihn bei einigen in die Höhe [2].

Und mit dem gleichen Training wird der eine fitter als der andere [3].

Diese Erkenntnisse stammen aus klinischen Studien, die beispielhaft zeigen, dass es bei Gesundheitsempfehlungen kein one-size-fits-all geben darf.

Der Grund für diese Unterschiede sind die unentwirrbar komplexen Wechselbeziehungen zwischen Verhalten, Erbanlage, Stoffwechsel, Mikrobiom und Umwelt.

N-of-1 statt one-size-fits-all

Ohne real-time Feedback zu den Wirkungen des Gesundheitsverhaltens auf jene Vitalparameter, die die lebenslange Vitalität und Funktionsfähigkeit bestimmen, kann niemand wissen, was einen selbst zeitlebens gesund, vital und funktionsfähig halten wird.

Da bleibt nur eins: sich selbst zur klinischen Studie zu machen.

Das Werkzeug dazu heißt Eigenexperiment.

Was sich für Gesundheitsbürokraten abenteuerlich, ja aufmüpfig, anhört ist in Wahrheit völlig legitim.

Aus 2 Gründen:

Erstens, wer in Kauf nimmt, dass die eigenen Gesundheitsempfehlungen beim einen oder anderen wirkungslos verpuffen, oder ihm oder ihr sogar schaden, der muss sich auch damit abfinden, dass diese Gesundheitsempfehlungen erst mal Probe gefahren werden.

Zweitens, ist die Methode des „Probefahrens“, die so genannte N-of-1 Studie längst als Goldstandard der Einzelfallforschung von EMA (European Medicines Agency) und FDA (Food and Drug Administration) legitimiert [4,5]. Und gehört deshalb auch in den Werkzeugkasten der individualisierten Lebensstilmedizin.

Mit N-of-1 wird aus einer einzelnen Person eine klinische Studie (das „N“ steht in Studien für die Anzahl der Teilnehmer), in der sie gleichzeitig als ihre eigene Kontroll- und Interventions-„gruppe“ agiert.

Entscheidend für die Qualität und Aussagekraft einer N-of-1 Studie ist die wiederholte (meist tägliche) Messung eines relevanten Vitalparameter (bspw. Blutdruck) in aufeinander folgenden Kontroll- und Behandlungsphasen (AB-Phasen; A = Placebo, B = Verum), die jeweils mehrere Tage oder wenige Wochen dauern.

Mit speziellen statistischen Verfahren kann man dann aus den täglich erhobenen Messdaten herleiten, ob die Maßnahme wirkt und wie groß ihr Effekt ist.

N-of-1 kommt in unterschiedliche Konfigurationen daher. Das AB Design ist das einfachste. Noch besser als nur einen Phasenwechsel zu haben sind zwei (ABA) oder drei (ABAB). Das passt gut zu Interventionen, die man anwenden und absetzen kann, wie beispielsweise weniger Salz zu essen.

Aber wer sich endlich dazu überwunden hat, Sport zu machen, für den sollte es keine wiederholte A-Phase des Aussetzens mehr geben, sonst wird daraus kein Gewohnheitsverhalten.

Für solche Konstellationen eignen sich ABCD Konfigurationen, in denen lediglich das Volumen oder die Intensität der Intervention geändert wird.

Das sind nur zwei Beispiele aus dem N-of-1 Kompendium, für das auch spezielle statistische Methoden entwickelt wurden.

Der N-of-1 Werkzeugkasten für alle

In unserem Gesundheitswesen allerdings liegt N-of-1 (noch) im Dornröschenschlaf [6,7]. Denn weder hat die Arztpraxis die Zeit für die tägliche Messung, noch die Methodenkompetenz für die Auswertung der gesammelten Daten.

Das ist schade, denn mit mobilen Health Technologien (z.B. WLAN fähige Blutdruckmessgeräte) und Server-basierten IT-Plattformen lässt sich die N-of-1 Methode so operationalisieren, dass jeder Laie sich die individualisierte Lebensstilmedizin selbst erschließen kann.

Und genau dafür haben wir LiLo geschaffen.

Damit jeder schon heute Zugang haben kann zur individualisierten Lebensstilmedizin – mit Feedback in Echtzeit.

Denn wer sich lebenslange Gesundheit und Funktionsfähigkeit sichern will, muss schon heute wissen, wo die Reise hingeht.

Mit dem systematischen Trial-and-Error Verfahren des N-of-1 lässt sich nicht nur der Lebensstil passgenau mit der eigenen Erbanlage verzahnen.

Man entdeckt dabei auch, ob man sich die Kekse und das Brot wirklich verkneifen muss, oder wie viel Sport zur lebenslangen Gesundheit und Funktionsfähigkeit ausreicht.

Warum also im one-size-fits-all Blindflug auf die lebenslange Gesundheit hoffen, wenn es die individualisierte Lebensstilmedizin auch in N-of-1 Präzision gibt?

 

Referenzen

[1]      Zeevi D, Korem T, Zmora N, Israeli D, Rothschild D, Weinberger A, et al. Personalized Nutrition by Prediction of Glycemic Responses. Cell 2015;163:1079–94. doi:10.1016/j.cell.2015.11.001.

[2]      Felder RA, Gildea JJ, Xu P, Yue W, Armando I, Carey RM, et al. Inverse Salt Sensitivity of Blood Pressure: Mechanisms and Potential Relevance for Prevention of Cardiovascular Disease. Curr Hypertens Rep 2022;24:361–74. doi:10.1007/s11906-022-01201-9.

[3]      Pickering C, Kiely J. Do Non-Responders to Exercise Exist—and If So, What Should We Do About Them? Sport Med 2019;49:1–7. doi:10.1007/s40279-018-01041-1.

[4]      European Medicines Association. Guideline on Clinical Trials in Small Populations. 2006.

[5]      Nikles J, Onghena P, Vlaeyen JWS, Wicksell RK, Simons LE, Mcgree JM, et al. Establishment of an International Collaborative Network for N-of-1 Trials and Single-Case Designs. Contemp Clin Trials Commun 2021;23:100826. doi:10.1016/j.conctc.2021.100826.

[6]      Wicks P. Patient, study thyself. BMC Med 2018;16:217. doi:10.1186/s12916-018-1216-2.

[7]      Schork NJ. Personalized medicine: Time for one-person trials. Nature 2015;520:609–11. doi:10.1038/520609a.

Verwandte Artikel

Verified by MonsterInsights